Das Messer im Wasser

Donnerstag, 5.2.1976 19:00  ! Audimax
19:00 Das Messer im Wasser

Programmheft WS 1968/1969:

Einfacher, klassischer kann eine Dramaturgie kaum sein. Der Zeitraum der Handlung erstreckt sich ziemlich genau über 24 Stunden; ihr Schauplatz umfaßt während neun Zehntel des Films nur die wenigen Quadratmeter Spielfläche, die ein Segelboot bietet. Anfang und Ende — in zwangloser Symmetrie — konzentrieren sich auf noch engeren Raum. Es gibt keine einzige Nebenfigur, nicht eine Nebensache in dieser Geschichte. Polanskis erster Neunzigminutenfilm ist eine ebenso strenge Parabel wie seine Kurzfilme.
Andrzej, die Hauptperson, ist Sportredakteur. Er nennt einen Peugeot‚ ein Segelboot und eine Frau sein eigen, er gehört zur neuen Klasse. Bevor er sein Boot erreicht, taucht plötzlich im Nebel ein junger Mann auf und winkt. Andrzej hupt doch der Junge rührt sich nicht vom Fleck. Als sich schließIich herausstellt, daß Andrzej bei diesem Spiel um die stärkeren Nerven den kürzeren zieht — er muß im letzten Moment auf die Bremse treten —, verliert er einen Augenblick die Fassung. Soviel Frechheit trifft seine Selbstachtung ganz empfindlich; aber trotzdem lädt er den Jungen auf sein Boot ein, wahrscheinlich, weil er die Tragweite dieser Herausforderung ahnt und sich ihr stellen möchte. Er braucht Bestätigung, und dies ist eine Gelegenheit, seiner Frau Krystyna und sich selbst zu zeigen, wer er ist.

Am Anfang steht seine Partie ausgezeichnet, glaubt er. Er kann den Jungen in ein Element locken, das diesem fremd ist, auf's Wasser, wo ihm sein Messer, der Fetisch seiner Oppositionsgesinnung und gleichzeitig beinahe das einzige, was er besitzt, nicht viel nützt. Hier muß man schwimmen und nicht nur hauen und stechen können. Zur Illustration erzählt Andrzej die Geschichte des Matrosen, der mit bloßen Füßen in die Glasscherben sprang; er erzählt sie stückweise, parallel zur Entwicklung des Films und glaubt, hiermit eine ironische Parabel für die Mentalität des Jungen gefunden zu haben. Aber am Ende muß Andrzej einsehen, daß die Geschichte doch nicht ganz so paßt: inzwischen hat sich nämlich herausgestellt, daß der Junge in seiner neuen Situation zwar Fehler machte, daß er aber aus ihnen lernte und im entscheidenden Augenblick, als Andrzej ihm sein Messer wegnahm, eben doch nicht blindlings ins Verderben sprang, sondern nur simulierte (nicht schwimmen zu können).

Im Grunde kämpft Andrzej von vornherein an der falschen Front. Er glaubt, er könne den Jungen zum Matrosen stempeln und selbst Kapitän spielen, während in Wahrheit die Herausforderung darin bestand, daß jeder, der einem in den Weg tritt, die gleichen Chancen hat, die man so gerne für sich allein reserviert sehen möchte. Das ist, auf die kürzeste Formel gebracht, Polanskis Sozialismus, eine Überzeugung, die schon in „Säugetiere“ zum Ausdruck kam. Ebenso wie dort zeigt er, daß Stärke und Schwäche, Oben und Unten keine Positionen sind, die sich konservieren lassen. Die Gesellschaft, auch die sozialistische, reproduziert sich nur, indem sie ihre Herrschaftsverhältnisse in Frage stellt. Am Ende des Films sagt Krystina zu dem Jungen: „Er war genau wie du"‚ und resigniert fügt sie hinzu: „Und du wirst auch so werden wie er."