Der Schlachter

Donnerstag, 6.5.1976 19:00  ! Audimax
19:00 Der Schlachter

Programmheft SoSe 1976:

Die meisten Filme des Franzosen Claude Chabrol leuchten hinter die Fassaden einer Welt, deren Gesellschaft längst in Unordnung geraten ist. Äußerlich scheint diese Welt noch heil, doch hinter dem Anschein von Wohlstand und Bürgerlichkeit machen sich Sittenlosigkeit und Verbrechen breit. Diese Verbrechen greift Chabrol auf; doch er nutzt sie lediglich als auslösendes Moment, um dann, im Gewand einer Kriminalstory (wie sein Vorbild HITCHCOCK) seinem Bürgertum die Maske herunterzureißen, das seiner — Chabrols — Meinung nach zum Untergang verurteilt ist. DER SCHLACHTER zeichnet wie kaum ein anderer Film Chabrols Vorstellungen von diesem Bürgertum, dem er, der Herkunft nach, selbst angehört.

”Ich liebe Blut und Leichen - und das Publikum mag's auch”, sagte Claude Chabrol einmal bei einem Interview in Frankfurt, und er erklärt damit warum er seine Filme so gern in das Gewand äußerlicher Spannung hüllt.

Stephane Audran‚ Chabrol-Gattin und Darstellerin in vielen seiner Filme, und Jean Yanne gelingt es gerade durch ihr zurückhaltendes Spiel, die Verklemmtheit ihrer Figuren glaubhaft zu machen keiner von ihnen bedarf der großen Gebärde. Die gleiche Zurückhaltung bewahrt Chabrol bei der Darstellung des Grauens: Vom
jähen Einbruch des Schreckens bis hin zur steigenden Angst des Helden vor dem Unausweichlichen markiert er farbige, beinahe geruhsame Bilder; Bilder, zu schön, um wahr zu sein. Zwar gewinnt das Alltägliche furchtbares Eigenleben, wenn etwa das Messer in der Hand Popauls nicht mehr Totes, sondern in lebendes Fleisch schneidet oder das Blut von der leblosen Hand des Opfers dem kleinen Mädchen auf's Brot tropft. Aber der Rest des dramatischen Geschehens spielt sich im Inneren der Menschen ab, äußert sich
nur in verhaltenen Reaktionen - und überzeugt dadurch umso stärker.

Oktober 1975 OTTO KUHN