M - Eine Stadt sucht einen Mörder | Das Testament des Dr. Mabuse

Dienstag, 15.6.1971 20:00  ! Köhlersaal
20:00 M - Eine Stadt sucht einen Mörder

Kinder werden ermordet und niemand weiß das zu stoppen, weder die Polizei noch die Anwohner der betroffenen Großstadt. Selbst die Unterwelt fühlt sich von dem Triebtäter gestört und versucht, ihn unschädlich zu machen. Doch dieser ist geschickt und spielt ein Katz-und-Maus-Spiel. Mit M holt sich der Filmkreis ein Stück Filmgeschichte ins Programm. Der Film zählt zu den ersten deutschen Tonfilmproduktionen und ist längst ein Pflichtklassiker.

AR


Programmheft SoSe 1961:

Als 1950 die Presse M unter dem Titel „Mörder unter uns” ankündigte, fühlte sich die NSDAP getroffen; Lang wurde anonym bedroht, die Staakener Ateliers schlossen vor ihm ihre Tore, Boykott wurde geplant. Da wurde den Nazis klargemacht, daß der Film sich nicht von ihresgleichen, sondern vom Düsseldorfer Kindermörder Kürten inspirierte; und nachdem Lang überdies den „die Deutschen beleidigenden" Titel radikal kürzte‚ gaben sich die Nazis zufrieden — nicht ahnend, daß der Film Dokument und Spiegel seiner und damit ihrer Zeit werden würde, die sich so sehr disponiert zeigte, sich faschistisch zu infizieren. Im Film, wohlverstanden, geht es nur um die Kriminalgeschichte, die Jagd nach dem Kindermörder (Lorre). Die Polizei, angeführt von Lohmann (Wernicke), sucht ihn unverständigerweise unter den Berufsverbrechern, denen dann auch bald die ewigen Razzien nicht mehr behagen. Ihr oberster Führer, Schränker (Gründgens), beteiligt daher ihre Berufsorganisationen, die Ringvereine, ebenfalls an der Jagd.

Das letzte Jahr der Weimarer Republik präsentiert sich im Film. Akteure sind die Führer der Organisationen von Polizei und Verbrechern; ausgeschaltet ist die Regierung („Der Minister scheint nicht zu verstehen...”) und das Volk (Lohmann: „das kalte Kotzen . . .”). Und das Opfer ist der Kindermörder in seiner geradezu rührenden Bürgerlichkeit — Opfer der Gewalt und vor allem Opfer seiner Triebe, die ein unerforschliches und unabänderliches Schicksal ihm auferlegte („will nicht — muß”).

Die vernebelnde Atmosphäre des Terrors drückt sich weniger in den konkreten Aktionen als in den formalen Mitteln aus. In diesem Film ist immer Nacht; Licht und Schatten und ziehender Rauch erzeugen jenen verwunschenen Realismus, der jede harmlose Geste in fatale Hintergründigkeit und Endgültigkeit verwandelt. Die Trennung von Ton und Bild ist das schlechthin Neue und Aufregende in diesem, Langs erstem Tonfilm. Während die Mutter den Namen ihres Kindes, „Elsie!”, ruft, zeigt die Kamera das verlassene Treppenhaus, buschiges Vorstadtödland, den in den Telefonleitungen zappelnden Luftballon des Kindes. Mehr und eindringlicher konnte über den Mord und seine Wirkung nicht gesagt werden.

(Filmkritik)


Programmheft SoSe 1957:

Fast scheint es, als ob es in Deutschland nur einen einzigen Regisseur gab, der es verstanden hat, Kriminalfilme zu drehen, nämlich Fritz Lang. Seinen beiden „Mabuse“-Filmen, seinen „Spionen“ und vor allem seinem ersten Tonfilm „M“ kann man wohl so leicht nichts Gleichwertiges an die Seite stellen.

Was uns bei der Betrachtung des Filmes „M" auffällt, sind die für einen Kriminalfilm ganz ungewöhnlichen Einstellungen. Bei aller optischen Orginalität jedoch bleibt die Fotografie immer spannungsgeladen und zwingt den Zuschauer in ihren Bann.

Das neue Element des Tones beherrscht Fritz Lang virtuos. Wenn er Peter Lorre als Kindesmörder an den entscheidenten Stellen das Anitra-Motiv aus der Peer-Gynt-Suite von Grieg pfeifen lößt, so wendet er bereits das gleiche Stilmittel an, wie es 20 Jahre später Carol Reed in seinem „Dritten Mann” mit dem als neuartigen Regieeinfall so vielgerühmten Harry-Lime-Thema tat, nämlich den Mörder durch ein musikalisches Thema zu kennzeichnen.

Vorfilm: Mr. Maggoo's Abenteuer (Zeichentrickfilm der United Productions of America)

0:00 Das Testament des Dr. Mabuse

Dr. Mabuse lebt geisteskrank in der Nervenklinik des Dr. Baum, der allmählich unter den Einfluß des Verbrechers gerät und ein Doppelleben führt. Eine Welle von Terror setzt das Land in Angst und Schrecken. Die Polizei ist zunächst ratlos; und gerade als die ersten Spuren auf Mabuse hinweisen, stirbt der Verbrecher, ohne daß die Verbrechen aufhören. Jemand scheint mit Feuereifer das Testament des Dr. Mabuse erfüllen zu wollen.

Fritz Langs instinktive Kolportage spielt mit jenen Ängsten vor Wahnsinn, Verbrechen und Terror, die den Bürgern die Hüte von den Köpfen fegen und seine Vision des Überverbrechers, der allein von einem mechanischen Machtwillen angetrieben durch Suggestion und Manipulation einer ihm treu ergebenen Organisation die Welt beherrschen will, galt als prophetische Darstellung Adolf Hitlers, jedenfalls nach der Meinung von Fritz Lang. Der Film wurde gleich nach der Uraufführung 1933 von den Nazis verboten. Bei einem Treffen zwischen Goebbels und Lang zeigt der Minister des RMVP jedoch seine Vorliebe für die früheren Werke Langs: "Metropolis", "M" und die "Nibelungen" und schlägt dem Regisseur vor, Reichsfilmintendant zu werden. Lang: "Aber ich bin doch Jude!" Goebbels: "Wer hier Jude ist, bestimme immer noch ich!" Lang bittet um 24 Stunden Bedenkzeit und verläßt das Land Richtung Frankreich eine Stunde später.

AR


Programmheft SoSe 1994:

In einer Nervenheilanstalt sitzt der schon lange für tot gehaltene Dr. Mabuse, gelähmt zwar, aber immer noch fähig, seinen Arzt zu hypnotisieren und Befehle in die weitverzweigte Welt des Verbrechens zu entsenden. Ziel aller Bestrebungen ist es, Mord, Totschlag und Chaos zu verbreiten.

Der Film wurde im März 1933 vor seiner Uraufführung von Goebbels verboten, Regisseur Fritz Lang emigrierte daraufhin über Frankreich in die USA und trennte sich von seiner Frau, die mit den Nazis sympathisierte. Fritz Lang über seinen Thriller, der 1951 erstmals in Deutschland aufgeführt wurde:
„Dieser Film sollte, wie in einem Gleichnis, Hitlers Terrormethoden aufzeigen. Die Parolen und Glaubenssätze des Dritten Reichs sind hier Verbrechern in den Mund gelegt. Damit hoffte ich, diesen Lehren, hinter denen sich der Wille zur Zerstörung all dessen verbarg, was einem Volke wert und teuer ist, die Maske abzureißen.“

„Vor allem die schillernde Faszination, die von dem Verbrechen ausgeht, die Macht des Ungeistes und die Herrschaft des organisierten Terrors hat Fritz Lang kurz vor der Machtergreifung der Nazis noch einmal festgehalten: Sein Film ist freilich mehr eine Vorahnung als ein Dokument.“
(Süddeutsche Zeitung)


Programmheft SoSe 1958:

Nicht die persönliche Bereicherung Einzelner ist das Motiv zu den Verbrechen in Das Testament des Dr. Mabuse (23. April), sondern das Ziel ist die Errichtung der „Herrschaft des Verbrechens". — Mit der erneuten Aufführung dieses letzten Films Fritz Langs in Deutschland erfüllen wir den Wunsch vieler, die diesen Streifen noch nicht sehen konnten, und ebenso vieler, die den Film bereits kennen. Der Film war 1933 kaum fertig geworden, als er auch schon verboten wurde. Über die Gründe sind die Meinungen geteilt. „Fritz Lang hat später in den Vereinigten Staaten erklärt, daß diese Geschichte von einem verrückten Verbrecher, der den Direktor der Anstalt unter seinen Einfluß bringt und seine Bande von der lrrenzelle aus leitet, ,den Hitlerterror, die Parolen und Doktrinen des dritten Reiches’ brandmarke. Tatsächlich verbot Goebbels den „Mabuse" Aber diese späte Interpretation ist anfechtbar. Das Drehbuch stammte von Langs Gattin Theo von Harbou, die damals bereits Mitglied der Nazipartei war. Später ließ sie sich von Lang, der als Nichtarier denunziert wurde, scheiden und wurde eine der einflußreichsten Filmschaffenden des ‘dritten Reiches'" (Georges Sadoul, „Geschichte der Filmkunst").

AR