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Mittwoch, 8.1.1969 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Es

Programmheft WS 1968/1969:

Ein junger Mann und ein junges Mädchen leben unverheiratet miteinander. Sie merkt, daß sie ein Kind bekommt, sagt ihrem Partner nichts und versucht, das Kind abzutreiben. Dies ist eine nur zu alltägliche Geschichte. Ulrich Schamoni hat sie nicht etwa, wie es Usus ist, durch Nebenhandlungen aufbereitet und damit an die Peripherie eines ganz anderen Geschehens gerückt, sondern er erzählt sie à l'état brût. Seinen Personen gibt er nicht mehr gesellschaftlichen oder persönlichen Hintergrund als gerade notwendig ist, um sie in unserer Nähe und uns begreiflich anzusiedeln. Beide leben in Berlin. Er ist Makler und geht ganz in seinem Beruf auf; der Beruf macht ihm offensichtlich Spaß, und er hat alle Aussichten, es einmal weit zu bringen. Sie ist technische Zeichnerin, und liebt ihn von ganzem Herzen . . .

Ulrich Schamoni geht es in diesem Fall nicht wie etwa in seinem ersten Film „Hollywood in Deblatschka Pescara” um Polemik. Bei ihm sitzt niemand auf der Anklagebank, weder die Gesellschaft noch das junge Paar, das in diese Situation geriet. Von dem Problem als Problem wird nirgends gesprochen, aber die Problematik ist in jeder Sequenz gegenwärtig. Schamoni sucht keinen Schuldigen, mit dessen Denunziation er es sich leicht machen könnte. Das junge Paar befindet sich weder in finanziellen Nöten noch ist es die Angst vor einem Contergankind, die das Mädchen zu ihrem Schritt treibt. Es besteht eigentlich kein zwingender Grund, warum gerade dieses Kind nicht geboren werden sollte. Und doch ist Schamoni der Meinung, daß die Bestimmungen über Schwangerschaftsunterbrechung sich zu ändern hätten. Deshalb demonstriert er seine Auffassung nicht an einem Extremfall, sondern greift das Problem in seiner normalen Erscheinungsform auf. Sein Angriff gilt einer Gesellschaft, die sich mit „so etwas“ überhaupt nicht auseinandersetzen will, die glaubt Tatsachen mit Tabus und Paragraphen aus der Welt geschafft zu haben, die die Augen vor der Wirklichkeit verschließt. . .

Schamoni setzt seinen Film aus Beiläufigem zusammen. Nirgends massiert sich das Geschehen zur Dramaturgie einer regelrechten Handlung. Alles Wichtige wird nur am Rande mitgeteilt. Die einzelnen Szenen wirken wie zufällig mit der Kamera beobachtet. Dennoch verliert sich die Geschichte nicht in Impressionen, sondern baut sich konsequent aus den verschiedenen Momentaufnahmen auf. Diese erscheinen durch die Selbstverständlichkeit, mit der die Akteure vor der Kamera agieren und mit der diese sich bewegt, in hohem Maße authentisch. Daran mag es vor allem liegen, daß diese Geschichte, die eben nicht am roten Faden abgespult wird, in der Konzentration allein auf das Thema keinen Augenblick langweilig ist...

(Auszüge aus P. M. Ladiges, Filmkritik 4/66)