¡Que Viva Mexico!

Mittwoch, 23.1.1963 20:30  ! Köhlersaal
20:30 ¡Que Viva Mexico!

Programmheft WS 1962/1963:

Für Sergej Eisenstein bedeuteten die Jahre von 1929 (Die Generallinie) bis 1938 (Alexander Newski) eine Folge von Niederlagen, gescheiterten Projekten und Maßregelungen. Von den vielen Projekten, die er nie fertigstellte, ist „Que viva Mexico!” wohl das größte und tragischste.

1930 erreicht ihn in Paris der Ruf Hollywoods. Aber sein Vertrag mit Paramount wird schon nach kurzer Zeit wieder gelöst, nachdem ein Drehbuch über die Goldgräberinvasion von 1849 und der Plan einer Filmbearbeitung von Dreisers „Eine amerikanische Tragödie” abgelehnt und von Rechtsextremisten eine zunehmende Meinungskampagne gegen den „Juden und Bolschewisten” entfacht worden war, der in den USA nichts zu suchen habe. Da wendet er sich seinem Lieblingsprojekt zu, einem Film über Mexiko, ein Land, das ihn seit seiner Inszenierung von Jack Londons „The Mexican” am Proletkult-Theater 1921 fasziniert hat. Für die Finanzierung kann er den sozialistischen Schriftsteller Upton Sinclair interessieren.

Im Verlauf ausgedehnter Reisen nach Mexiko kam Eisenstein der — über sein ursprüngliches Projekt weit hinausgehende — Plan zu einem umfassenden Film über Mexikos Geschichte und Gegenwart, der vier Episoden, Novellen vergleichbar, einen Prolog und einen Epilog erhalten sollte. Eisenstein fixierte sein Thema von einem philosophischen Standort aus; was er in „Que viva Mexico!” darstellen wollte, war: „Die große mexikanische Weisheit vom Tod. Die Einheit von Tod und Leben. Das Dahingehen des einen und die Geburt des nächsten. Der ewige Kreis...” Mit seinem Assistenten Alexandrow und dem Kameramann Tisse machte er sich an die Aufnahmearbeiten zu den Episoden „Fiesta”, „Sandunga”. „Maguey” und „Soldadera”, in denen sich die allmähliche Entwicklung Mexikos von der biologisch-vegetativen Existenz, von der Herrschaft der Folklore und der mit ihr verwobenen christlichen Legenden zum erwachenden sozialen Bewußtsein widerspiegeln sollte. In einer Schlüsselsequenz, die zur Zeit der Diktatur des Porfirio Diaz (1905 — 1906) spielt, vollziehen herrschaftliche Haciendados ein barbarisches Gericht an rebellischen Peons: sie reiten mit ihren Pferden über die Köpfe der bis zum Hals Eingegrabenen hinweg. Am Schluß sollte das „soziale Prinzip”, „unsterblich und ewig”, über das „biologische Prinzip” triumphieren. „Wenn wir im Prolog Begräbnisse und eine verzweifelte Unterwerfung unter das schreckliche Symbol des Todes gesehen haben‚ so sehen wir dagegen, wie im Epilog dies Symbol vom Sarkasmus des Toten-Karnevals überwunden wird”, schrieb Eisenstein. Die abschließenden Sequenzen vom Karneval der Totenmasken wollte Eisenstein als Satire auf das gegenwärtige Regime und als Hymne auf die sich durchsetzende Lebenskraft des mexikanischen Volkes gestalten.

Freilich sollte diese Intuition erst in der Montage Gestalt gewinnen. Doch da Eisenstein die vereinbarte Drehzeit und den veranschlagten Etat des Films überschritten hatte, sperrte Sinclair Anfang 1952 dem Team das Geld und machte es Eisenstein damit unmöglich, den Film zu beenden. Eisenstein mußte in die Sowjetunion zurückkehren, ohne die Möglichkeit zu haben, das von ihm gefilmte Material nach seinen ursprünglichen Plänen zu schneiden und zu montieren. Entgegen seinem Versprechen sandte Sinclair auch niemals das Negativ des Films an Eisenstein, sondern brachte kurze Extrakte von „Que viva Mexico!” unter dem Titel „Thunder over Mexico" und „Death Day” heraus, mit deren Erträgen er die Kampagne für seine Kandidatur für den Gouverneursposten von Kalifornien finanzierte. Eisenstein mußte sein Werk, an dem er ein Jahr lang gearbeitet hatte, vollständig verloren geben. Auch Mary Seton editierte 1939 nur einen Bruchteil des Materials als „Time in the Sun” (Unter Mexikos Sonne).

(nach Gregor-Patalas „Geschichte des Films", 1962)